Überfordert!


Zum Indexierungsgutachten von VAUNET – März 2019

Wer medienverfassungsrechtlich argumentieren will, sollte sich nicht mit einem Disclaimer zum begrenzten Zugang zu aktuellen Informationen entschuldigen. Das Medienverfassungsrecht wird durch die allgemein zugängliche Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geprägt, nach der sich auch die Verfassungsmäßigkeit gegenwärtiger und künftiger Finanzierungsmodelle für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk bestimmen.
Es geht um die Frage, ob eine Indexierung grundsätzlich verfassungsgemäß ist, und nicht um Fragen der inhaltlichen Ausgestaltung eines Indexmodell. Der Autor lehnt eine Indexierung als zulässige Option ab, und bleibt in seiner Argumentation einfach überfordert – wie der Disclaimer auf der ersten Seite vermuten läßt.
Bereits in der Einleitung positioniert sich der Autor eindeutig und belegt gleich die Oberflächlichkeit seiner Ausführungen, wenn er auf Seite 3 spekuliert, daß der Auslöser der Indexierungs-Diskussion nicht in einer Kritik an der KEF zu suchen sei. Nur die Politik und die KEF bestimmen seine Betrachtung. Daß es auch eine Sicht der Rundfunkanstalten – gerade vor dem Hintergrund der Stellungnahme der KEF zu Auftrag und Strukturoptimierung der ÖR – geben könnte, wird völlig ausgeblendet.
Verfassungsrechtlich grotesk sind dann die Ausführungen zum Versuch der Länder, den Programmauftrag der Rundfunkanstalten zu begrenzen: „Durch eine faktische Deckelung der Finanzmittel sollen die Anstalten mutmaßlich dazu gebracht werden, in eigener Entscheidung ihr Programmangebot zu straffen oder zu begrenzen.“
Darf dies tatsächlich das Motiv des Gesetzgebers sein, trotz Programmhoheit und Funktionsauftrag, für eine Einschränkung des Programmangebotes zu sorgen? Ist der Politik nicht gerade dieser Eingriff durch Art. 5 I S. 2 GG untersagt? Warum geht es nur um straffen und begrenzen, vielleicht sind die Anforderungen an den Funktionsauftrag vor dem Hintergrund von Medienkonvergenz gegensätzlich unterwegs, d.h. mehr Vielfaltssicherung, mehr Verbreitungswege, mehr Tatsachenrecherche, usw.
Nach der Lektüre von drei Absätzen kann man erkennen, daß es dem Autor nicht um Meinungs- und Informationsfreiheit in der Gesellschaft geht, es geht ihm unter Ausblendung der medialen Wirklichkeit nur um die Deckelung der Finanzmittel. Aber gerade die dienen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes der Rundfunkfreiheit zur Sicherstellung individueller und gesellschaftlicher Meinungsbildung – das Geld folgt der Rundfunkfreiheit und nicht umgekehrt.
Das gegenwärtige KEF-Verfahren wird als geeignet unterstellt und jegliche Kritik der vergangenen Jahre daran ausgeblendet. An dieser Stelle darf ich mit meiner Stellungnahme an das Bundesverfassungsgericht im Mai 2018 antworten:


Unsere Verfassung ist dynamisch, auch die Rundfunkfreiheit aus Art. 5 I S.2 GG ist dynamisch und mit Blick auf mediale Veränderungen und Anforderungen dynamisch ausgestaltbar.
In diesem Sinne hat dieses Gericht in all seinen Rundfunkurteilen in der Vergangenheit nicht nur die objektiv-rechtlichen Anforderungen an die Rundfunkfreiheit bestätigt, sondern im Erkennen medialer Veränderungen auf Anbieter- und Rezipientenseite die Ausgestaltungsanforderungen zur Entfaltung der Rundfunkfreiheit weiterentwickelt.

Der Finanzierung des ör Rundfunks und seiner damit sicherzustellenden dienenden Funktion für die freie individuelle und öffentliche Meinungsbildung kommt eine zentrale Rolle zu.
Die Finanzierung folgt dem öffentlichen Auftrag!
Die Grundsätze zur Finanzierung in Bezug auf die Programmautonomie der Anstalten, die Beschränkung der Finanzkontrolle auf Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit und das Gebot der Staatsferne aus den Rundfunkurteilen seit 1992 (BVerfGE 87, 181, Hessen 3) sind bis heute zwingend.

Deshalb ist die zweite Stufe des gegenwärtigen Finanzbedarfsermittlungsverfahren – die Arbeit der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) – als unabhängige Kommission – mit den Anforderungen aus den Rundfunkurteilen seit 1992 abzugleichen.
Diesen Anforderungen entspricht das Finanzbedarfsermittlungsverfahren nicht mehr.

• Die Funktionserfüllung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist nicht fixierbar, vgl. BVerfGE 87, 181 (202 f.).
• Die Rundfunkanstalten bestimmen selbst, was die Ausfüllung des öffentlichen Auftrags in publizistischer Hinsicht verlangt, vgl. BVerfGE 90, 60 (95).
• Die präzise Festlegung des Finanzbedarfs der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ist mit der Rundfunkfreiheit nicht vereinbar, vgl. BVerfGE 119, 181 (91, 221 f.).
• Die Aufgabe der KEF zur Kontrolle von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit darf nicht zu einer Behinderung der Weiterentwicklung des öffentlichen Auftrags führen, vgl. BVerfGE 119, 181 (222 ff.).

Die KEF verletzt die Programmautonomie der Anstalten:

Art. 5 I 2 GG verlangt ein Verfahren, daß die ör Anstalten vor einer Einflußnahme auf das Programm wirksam sichert, vgl. 2. Leitsatz, BVerfGE 90, 60 – 1994.
• Der von ARD, ZDF und DLR gefordert Bericht an die Länder zu Auftrag und Strukturoptimierung, wird durch die Länder und KEF ausschließlich für Kürzungszwecke mit Blick auf den Rundfunkbeitrag genutzt. Eine finanzoffene Diskussion über den ör Auftrag findet nicht statt.
• Stattdessen empfiehlt die KEF in einem Gutachten zu diesem Bericht Optimierungen und die Betrachtung der Kernprodukte der Anstalten. Die KEF stellt explizit fest: „Einsparpotenziale müssen primär zur Entlastung der Beitragszahler genutzt werden“.
• Dabei heißt es im Gebührenurteil dieses Gericht 2007 (BVerfGE 119,181): “Weder kann genau bestimmt werden, welches Programm und welchen Programmumfang die Erfüllung der Funktion des ör Rundfunks erfordert, noch ist exakt im Voraus festzustellen, welcher Mittel es zur Finanzierung der erforderlichen Programme bedarf.“
• Die KEF ermittelt im 21. KEF-Bericht Wirtschaftlichkeitspotentiale durch programmliches Benchmarking bei Krimiproduktionen, Hörfunk und in Zukunft Sport, und spricht Empfehlungen zur Reduzierung von Drehtagen aus.
• Im 19.KEF-Bericht wurde zum erstmal ein programmliches Benchmarking – d.h. Produktionskosten pro Sendeminute – vorgenommen, in dessen Folge die Landesrechnungshöfe dies aufgreifend, vier Presseerklärungen zu überteuerten Tatorten veröffentlichten, ebenso wie die KEF nun im 21. Bericht selbst. Ein derartiges Vorgehen entfaltet programmliche Wirkung auf die Anstalten durch öffentlichen Druck.
• Programmliches Benchmarking abseits jeglicher Inhalte, Qualität und Nutzungsbedürfnissen mit dem einzigen Ziel, Einsparpotentiale zu identifizieren, ist nicht nur ein verfassungswidriger Eingriff in die Programmautonomie, sondern auch eine Kompetenzüberschreitung der KEF.
Es ist ausschließlich eine Sache der Binnenkontrolle der Anstalten, Wirtschaftspläne und Produktionsverträge zu genehmigen und ihre Wirtschaftlichkeit mit den programmlichen Anforderungen abzugleichen. Die KEF hat die Feststellungen der Binnenkontrolle zu akzeptieren und nicht durch eigene Vorstellungen zu ersetzen. Alles andere wäre eine Mißachtung von Unabhängigkeit und Funktion.
• Stattdessen setzt die KEF im 21. Bericht Produktionskosten und erzielte Marktanteile in Relation, um so ihre Kostenvorstellungen für Produktionen zu unterstreichen.

Die Finanzierung der ör Anstalten wird durch die KEF sachfremd zur Programmlenkung
und Medienpolitik eingesetzt:

• Bereits mit dem Rundfunkurteil 2007 (BVerfGE 119,181) hat dieses Gericht den RFinStV in Bezug auf die Berücksichtigung der gesamtwirtschaftlichen Lage und die Entwicklung der öffentlichen Haushalte beim Finanzbedarfsermittlungsverfahren im Sinne der Rundfunkfreiheit ausgelegt.
Dieses Gericht ist damals mit einem – der gegenwärtigen Beitragsdiskussion sehr vergleichbaren Sachverhalt – konfrontiert worden. Aber: Die KEF schloß sich damals den Verfassungsbeschwerden zur Wahrung ihrer Unabhängigkeit an.
• Heute beauftragt die Rundfunkkommission der Länder ARD und ZDF einen Bericht zu Auftrag und Strukturoptimierung vorzulegen in dem Ansinnen, den Beitrag relativ oder absolut stabil halten zu können, und kommentiert bereits vor einer Begutachtung durch die KEF, daß die Einsparvorschläge der Anstalten nicht ausreichend seien. Die KEF bestätigt später die Einschätzung der Politik, hält eine Schwachstellenanalyse der ARD für notwendig und fordert eine Auftragsveränderung, um sie zeitnah in ihre Finanzberechnungen integrieren zu können. Als ARD und ZDF daraufhin mit Unterstützung der Gremien keine Programmeinstellungen anbieten, stellt die Politik ARD und ZDF im April ein Sparultimatum.
• Die KEF und die Rundfunkkommission der Länder verstehen unter Auftragsveränderung ein Mittel zur Einsparung. Folgt jedoch die Finanzierung dem Auftrag, dann ist der veränderte Auftrag der ÖR in der konvergenten Medienwelt zur Sicherung der Meinungsfreiheit zuerst zu formulieren – dabei kann sich ein „Mehr“ beim Auftrag ergeben, weil die Sicherung der Meinungsfreiheit komplexer, vielfältiger und teurer geworden ist.
• Die KEF hat in 21 Berichten immer Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit geprüft. An welcher Stelle sollen heute noch so große Einsparpotentiale identifizierbar sein, die eine Fortsetzung eines stabilen Rundfunkbeitrags seit 2009 ermöglichen? Die Binnenkontrolle, Wirtschaftsprüfer und Landesrechnungshöfe prüfen und diskutieren jährlich die Wirtschaftspläne der Anstalten.
• Wenn die politisch erwarteten Einsparpotentiale nicht ausreichend sind, kann die Antwort der KEF nicht ein Eingriff in die Kernprodukte der Anstalten sein. Das ist ein Richtungswechsel ihrer Aufgabe. So wie es nicht ihre Aufgabe ist, öffentlich über die Entwicklung des Rundfunkbeitrages zu spekulieren.
• Vor diesem Hintergrund möchte ich auf das ZDF-Urteil dieses Gerichts zur Unabhängigkeit der Gremien verweisen. Alle Mitglieder der KEF werden von der Exekutive ernannt und sind damit staatsnah. Staatsferne im Sinne von unterschiedlicher Aufgabenwahrnehmung, Funktion und Kontrolle ist zwingend, um das Element Unabhängigkeit der objektiv-rechtlichen Dimension der Rundfunkfreiheit zu gewährleisten.

Die Arbeit der KEF sichert nicht die Bestands- und Entwicklungsgarantie des ör Rundfunks, weil mediale Veränderungen im statischen System der Hebung von Wirtschaftlichkeitspotentialen keine Berücksichtigung finden:

• Die KEF arbeitet in ihren Berichten und Gutachten zunehmend mit Zuschätzungen beim Ertrag, pauschale Wirtschaftlichkeitsabschlägen u.a. beim Personal um Wirtschaftlichkeitspotentiale zu heben, sowie pauschalen Kürzungen, wenn sie Verletzungen ihrer Sparsamkeitsvorstellung wie im Fall Gottschalk/WDR feststellt – hier wurde eine programmliche Fehlentscheidung finanziell bestraft. Auch der 21. KEF-Bericht enthält viele Strafandrohungen bei Mißachtung der Vorstellungen der KEF. (Kostenvergleich von Fernsehproduktionen und Hörfunk)
• Im Gebührenurteil dieses Gerichts 2007 hat die KEF selbst auf die erschöpfende Wirkung eines pauschalen 0,5% Einsparpotentials auf den Bestandsaufwand hingewiesen. Im 21. KEF-Bericht schreibt sie eine jährliche pauschale Personalabbaurate von 0,5% für die ARD vor. Ein sachlicher Bezug zu einer bedarfsgerechten Finanzierung fehlt.
• Dabei fallen die Kürzungsvorstellungen der KEF in Bezug auf ARD und ZDF sachlich nicht nachvollziehbar sehr unterschiedlich aus. Der Anteil der ARD am Beitragsaufkommen hat sich seit 1990 von 78,89% auf 70,34% reduziert, der Anteil des ZDF ist im gleichen Zeitraum von 19,04% auf 24,89% gestiegen – ohne daß eine Auftragsveränderung der Anstalten stattgefunden hätte.

Es gilt die Programmautonomie zur Entfaltung der Rundfunkfreiheit wieder uneingeschränkt zu gewährleisten. Dazu darf die KEF nicht die Bestands- und Entwicklungsgarantie für den ör Rundfunk unterlaufen, weil sie den Anstalten keinen Spielraum für mediale Veränderungen läßt. Die pauschale Annahme, Digitalisierung macht alles billiger, ist falsch.
Im Gegenteil, die Digitalisierung mit all ihren neuen medialen Erscheinungsformen erhöht ständig den Druck zur Vielfaltssicherung auf den ör Rundfunk.
Heute bemühen sich Presse, Intermediäre und Plattformen darum, als Teil des Dualen Systems wahrgenommen zu werden – auch wenn sie es nicht sind – um durch die Ausgleichsfunktion des ör Systems weniger Ausgestaltungsanforderungen zur Sicherung von Vielfalt, Chancengleichheit und Unabhängigkeit ausgesetzt zu sein. Allein hier entsteht eine tatsächliche Ausweitung des öffentlichen Auftrags.

Das gegenwärtige KEF-Verfahren bleibt in der Welt des Analogen und der persönlichen Eitelkeiten stecken und ist ein Beitrag zur medialen Auslieferung der Rezipienten an Amazon, Netflix, Youtube und Co.


Auch der europapolitische Ausflug des Gutachtens ist nicht gelungen. „Die EU läßt nicht zu, daß die Anstalten ungeprüft und unkontrolliert Geld erhalten“, so auf Seite 15 des Gutachtens. Das Beihilfethema läßt sich so nicht auf den Punkt bringen und die Rolle der Gremien, die gerade durch den Beihilfekompromiß eine nachhaltige Aufwertung ihrer Funktion für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk erfahren haben, scheint dem Autor unbekannt.
Verwaltungsräte, Rundfunkräte, Wirtschaftsprüfer und Landesrechnungshöfe prüfen und kontrollieren das Geld der Rundfunkanstalten – die, es sei noch einmal betont – nicht gewinnorientiert arbeiten!
Zu unterstellen, daß mit der Indexierung (S. 16) keine Wirtschaftlichkeitskontrolle mehr stattfinden würde und Unwirtschaftlichkeiten fortgeschrieben würden, ist schlicht beleidigend gegenüber den oben genannten Kontrollgremien.


Erschütternd bleibt zum Schluß die Fehlinterpretation der Wesentlichkeitstheorie zur notwendigen Befassung der Länderparlamente mit einer konkreten Rundfunkbeitragshöhe und die Deutung der Vollindexierung als Kompetenzverschiebung zu Lasten der Politik.
So kann man Rundfunkfreiheit auf 17 Seiten mißverstehen, wenn man nicht der individuellen und gesellschaftlichen Meinungsbildung als tatsächliches Ziel und vornehmes Menschenrecht dienen will.