Stellungnahme zum Medienstaatsvertrag

Stellungnahme zum Diskussionsentwurf „Medienstaatsvertrag“ der Rundfunkkommission der Länder vom Juli/August 2019

Bedient werden viele Interessen – aber nicht die Vielfaltssicherung zum Schutz der Meinungsfreiheit!

Vorbemerkung

Wie beim ersten Mal fehlt das Medienkonzentrationsrecht. Dafür wird die Materie noch komplexer, noch detaillierter und noch unübersichtlicher gestaltet. Der RStV ist auf dem Weg das Schicksal des Telekommunikationsrechts zu erleiden, vor dessen Komplexität mittlerweile Gerichte kapitulieren.
Bedient werden Interessen der Länder, der Politik im allgemeinen und besonderen, jeder bekommt etwas, mit dem man zufrieden sein kann und was scheinbar vermarktbar ist.
Der Schutz der Rezipienten, der Schutz der öffentlichen und persönlichen Meinungsbildung treten dahinter zurück. Medienpolitik der Länder bleibt ein Handel mit Vorteilen und Interessen, weil man die Regeln zur Vielfaltssicherung, zur Meinungsmacht und zur kommunikativen Chancengleichheit nicht auf alle gleich anwendet.
Aber die Definition von Ausnahmen in einer konvergenten Medienwirklichkeit geht an der technischen und inhaltlichen Konvergenzentwicklung der Medien völlig vorbei. Gewinner werden die scheinbar Unentbehrlichen sein, wenn die Politik nach einem großen „time-lag“ endlich überlegt zu reagieren. Empfohlen sei an dieser Stelle das Buch von Shoshana Zuboff – Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus, wenn sie gerade diese Mechanismen für Google und Facebook beschreibt.

Ein echter Medienstaatsvertrag hätte einen konvergenz- und entwicklungsoffenen Rundfunkbegriff definiert, der die mediale Vielfaltssicherung als öffentliche Aufgabe aller Medien durch ein „Level-Playing-Field“ zur Absicherung und Gewährleistung individueller und gesellschaftliche Meinungsbildung in den Mittelpunkt stellt.
Die banale Korrektur des Rundfunkbegriffs im technischen Bereich hat nur eine kosmetische Funktion, weil die konvergenzuntaugliche Unterscheidung von Rundfunk und Telemedien im Entwurf fortgeschrieben wird.
Das Bemühen von Mathias Döpfner, das Duale System – die Ausgleichsfunktion des öffentlich-rechtlichen Rundfunks für private Angebote – auch auf Angebote der Presse auszudehnen, ergibt vor dem Hintergrund der neuen Kategorie – „rundfunkähnliche Telemedien“ – einen Sinn.
Dieser Medienstaatsvertragsentwurf spielt wenigen Großen in die Hände und sollte in Bezug auf die künstliche Unterscheidung von Rundfunk, Telemedien, sowie der neuen Kategorie rundfunkähnlicher Telemedien vor dem Hintergrund der Übernahme von Springer durch KKR überdacht werden.

Im Einzelnen:

§ 2 Begriffsbestimmungen

Der konvergenzuntaugliche einfachgesetzliche Rundfunkbegriff mit der Negativabgrenzung Telemedien wird beibehalten. Damit bilden sich weder die mediale Wirklichkeit, noch die medialen Nutzungsgewohnheiten der Rezipienten ab. Dies hat, mit Blick auf die Folgeparagraphen, allein eine Marktordnungsfunktion zu Lasten der publizistischen Vielfaltssicherung, und garantiert die Übertragbarkeit des Dualen Systems auf „rundfunkähnliche Telemedien“ unabhängig vom konkreten Anbieter, z.B. der Presse.
Der Zunahme von Medienkonzentration ist allein über die unterschiedlichen Anforderungen an Rundfunk und Telemedien der Weg bereitet.
Lösung: Es gibt nur zulassungsfreie Mediendienste, deren unterschiedliche Privilegierung mit einer Ausgestaltung ihrer öffentlichen Aufgabe bis hin zum öffentlichen Auftrag verbunden wird.

Die neue Kategorie „rundfunkähnliche Telemedien“ ist ein gestaltungsoffener Rechtsbegriff, wie das Wort „insbesondere“ in der Definition verdeutlicht. Der Grund, warum man die neue Kategorie nicht einfach „non-linearen Rundfunk“ genannt hat – was es ja ist – liegt in dem Bestreben, kein Level-Playing-Field zwischen Rundfunk- und Telemedienanbietern zulassen zu wollen.
Denn solange non-linearer Rundfunk „rundfunkähnliche Telemedien“ heißt, solange gelten die §§ 54 ff. RStV für zulassungsfreie Telemedien fort.

Es ist die Schaffung der Option einer fast regelfreien Möglichkeit für die Presse, Rundfunk anzubieten. Dabei muß man sich nicht den Anforderungen an Rundfunk gemäß §§ 20 ff. RStV unterwerfen, weil man ja Telemedien veranstaltet, sondern man muß nur die wenigen Regelungen beachten, die es für die Presse bereits gibt.
An dieser Stelle sei auch auf die absoluten Sonderregelungen für die Presse im Rahmen der Umsetzung der DSGVO verwiesen, die sich somit mittelbar auf „rundfunkähnliche Telemedien“ verlängert.
Angebote auf YouTube und visuelle Angebote der Verlage bekommen mit dieser Kategorie einen Persilschein, ohne daß das Mehr an Angeboten zu einem qualitativen Mehr an publizistischer Vielfalt führt. Im Gegenteil: Der Produktverlängerung zur Gewinnmaximierung und der vertikalen Medienkonzentration über Verbreitungswege wird das Tor aufgestoßen.
Die gleichzeitigen Überlegungen zur Reduzierung des öffentlichen Auftrags im Rahmen der Auftrag und Strukturdebatte bei den öffentlich-rechtlichen Anstalten, die Eingriffe der KEF in die Programmautonomie der Anstalten zur Bescheidung des Finanzbedarfs und der Telemedienkompromiß vom Juni 2018, geben die Funktion des Dualen Systems vor dem Hintergrund „rundfunkähnlicher Telemedien“ der Lächerlichkeit preis.

Statt der Gewährleistung der Rundfunkfreiheit durch publizistische Vielfalt, Unabhängigkeit und Chancengleichheit, wird wirtschaftlicher Erfolg zur Bestimmungskomponente von medialen Inhalten bei zunehmender Lähmung der Ausgleichsfunktion des öffentlich-rechtlichen Rundfunks durch finanzielle Restriktionen für seine Entwicklung. Gesetzliche Regelungen, wie eine Schiedsstelle im Telemedienstaatsvertrag vom Juni 2018 initiieren einen vorauseilenden Gehorsam bei der Vermeidung presseähnlicher Angebote zu Lasten publizistischer Inhalte und Nutzerinteressen.

Der Einstieg von Mathias Döpfner in den Aufsichtsrat von Netflix ist nur konsequent, ebenso, wie bei der beispielhaften Aufzählung von „rundfunkähnlichen Telemedien“ Sport fehlt, aber nicht ausgeschlossen ist.

Die neue Kategorie „rundfunkähnliche Telemedien“ ist abzulehnen, weil sie zu Medienkonzentration und Vielfaltsreduzierung führt. Die unterschiedliche Behandlung von medialen Angeboten mit Breitenwirkung, Aktualität und Suggestivkraft ist abzulehnen, auch weil sie von der fast regelungsfreien Presse oder sonstigen Anbietern kommen kann, und der staatlichen Gewährleistungspflicht für freie individuelle und gesellschaftliche Meinungsbildung zuwiderläuft.

Die begriffliche Unterscheidung zwischen Medienplattformen, Medienintermediären und Benutzeroberflächen widerspricht zwar der Systematik der AVMD-Richtlinie, ist aber vor dem Hintergrund möglicher Privilegierungen notwendig und zu begrüßen.

Die Definition eines Video-Sharing-Dienstes kommt dem Verbot einer Einzelfallgesetzgebung sehr nahe. Man kann keine Sonderregeln für YouTube schaffen. An dieser Stellte fällt man über die eigene Falle zu detaillierter Regelungen.

Anstatt das Gleiche zu definieren und im Zweifel abgestuft zu regeln und zu regulieren, verliert man sich im Detail, schafft Ungleichheit und Wettbewerbsverzerrung in Verkennung der tatsächlich geschaffenen und sich entwickelnden Konvergenz.

So ist auch die Definition und das Festhalten an einem Sendeplan nur der Ausfluß rundfunkrechtlicher Abgrenzungsvorstellungen.

§ 3 Allgemeine Grundsätze

Warum werden diese eigentlich auf ör und private Rundfunkanbieter begrenzt. Eingeschränktere Aufzählungen an anderer Stelle (Plattformen, Telemedien) ließen sich vermeiden.

§ 7a II Werbung

Mit Blick auf die Wirkung von Werbung auf Kinder und die geplanten Änderungen im JMStV, ist die Zulassung von Werbeunterbrechungen in Kindersendungen völlig unverständlich und strikt abzulehnen.

§ 40 Finanzierung besonderer Aufgaben

An dieser Stelle sollte besser darüber nachgedacht werden, ob Offene Kanäle in Zeiten von YouTube noch zeitgemäß sind. Oft sind diese Kanäle zur Bedienung von parteilichen Übertragungsinteressen oder reinen Einzelinteressen verkommen. Ein echtes Publikum und einen echten Mehrwert zur Schaffung von Medienkompetenz haben sie schon lange nicht mehr.
Stattdessen wird mit Absatz 3 versucht, in die Kasse des Rundfunkbeitrages noch intensiver als bisher zu greifen. Wo sind denn die Grenzen für die Finanzierung lokaler und regionaler Vielfalt. Heißt das für einige Bundesländer mit nur einer einzigen Manteltageszeitung, daß nun auch die Presse aus dem Rundfunkbeitrag (die alte Idee aus NRW) gefördert werden darf.
An dieser Stelle wird das Wesen des Rundfunkbeitrages vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des BVerfG völlig verkannt. Wenn die Politik in die Tasche des Bürgers für die Förderung lokaler und regionaler Vielfalt greifen will, soll sie es offen (heute heißt das ja Transparenz) tun, und sich nicht hinter dem Rundfunkbeitrag (der trotzdem stabil bleiben soll) verstecken.
Zur finanziellen Wahrheit gehört auch, daß all die neuen Aufgaben, die der Entwurf für die Landesmedienanstalten vorsieht, diese personell und finanziell völlig überlastet. Ihr Anteil aus dem Rundfunkbeitrag ist aber beschränkt.

§ 49 Ordnungswidrigkeiten

In der Logik des Aufbaus von Komplexität im Entwurf inhaltlich zwingend, aber kaum handhabbar. Die Gefahr, daß im Zweifel auf das UWG ausgewichen wird und Zivilgerichte über Meinungs- und Angebotsvielfalt entscheiden, wird so gesteigert.

§ 52 b II 1. a) Belegung

Die Beschränkung auf Länder ist mit Blick auf die technischen Kapazitäten abzulehnen. Hier wird ein Instrument der kulturellen Vielfaltssicherung als Austausch zwischen den bundesweiten Regionen verhindert.
Eine Must-be-found-Regelung fehlt.

Schlußbemerkung

Der vorliegende Entwurf für einen Medienstaatsvertrag trägt den Anforderungen an eine konvergente Medienwirklichkeit nicht Rechnung.
Die künstliche Aufteilung zwischen Rundfunk und Telemedien wird weiter als Marktordnungsfunktion ausgebaut, und verschafft Anbietern den Zutritt zum Rundfunk ohne korrespondierende Pflichten für die Veranstaltung von Massenmedien.

Der Entwurf ignoriert die Gewährleistungspflicht des Staates für die Sicherstellung der dienenden Funktion des Rundfunks für die Meinungsbildung in der Gesellschaft.
Nicht die publizistische Vielfalt und der publizistische Wettbewerb werden geschützt, sondern rein ökonomische Interessen werden in den Vordergrund gestellt.

Die Ausweitung des Dualen Systems auf Anbieter „rundfunkähnlicher Telemedien“ ohne gleichzeitige Aufhebung von Schutzregelungen für die Presse, wie presseähnliche Angebote, widerspricht der Verantwortung des Gesetzgebers für die Entfaltung der Medienfreiheiten aus Art. 5 I S. 2 GG.

Die Rundfunkfreiheit mit ihrer dienenden Funktion für die freie individuelle und gesellschaftliche Meinungsbildung wird mit diesem Entwurf nicht gewährleistet, sondern abgebaut. Darüber können auch die Regelungen zu Plattformen und Medienintermediären nicht hinwegtäuschen, zumal mit Formulierungen, wie dem „sachlich gerechtfertigten Grund“, alles wieder offen ist.

Der Entwurf ist erneut im Sinne des Zwischenberichts der damaligen Bund-Länder-Kommission zur Medienkonvergenz zu überarbeiten.
Der aktuelle Medienkonzentrationsbericht der KEK ist zu berücksichtigen.