„Presseähnlichkeit“ & „Rundfunkähnlichkeit“

Das Verbot „Presseähnlichkeit“ und die Gestattung „Rundfunkähnlichkeit“

Zum Entwurf des Medienstaatsvertrages – Oktober 2018

Eigentlich habe ich diesen Artikel für die ProMedia Ausgabe im November 2018 geschrieben. Aber entgegen einer Zusage wurden er nicht veröffentlicht. Vielleicht ein glücklicher Zufall, denn er brachte mich auf die Idee dieses Blogs.

Ein Medienstaatsvertrag, der Grenzen verwischt ohne die publizistische Vielfalt zu sichern.

Der 22. Rundfunkänderungs-Staatsvertrag unterstreicht das Verbot des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, presseähnliche Telemedien anzubieten.

Der Entwurf zum 23. Rundfunkänderungs-Staatsvertrag definiert den eigentlich alten Begriff der „rundfunkähnlichen Telemedien“ aus § 58 III RStV, unter den nun insbesondere die ausdrückliche Gestattung des zeitversetzten Angebots von Hörspielen, Spielfilmen, Serien, Reportagen, Dokumentationen, Unterhaltungs,- Informations- oder Kindersendungen verstanden wird. Sport fehlt in der Aufzählung, ist aber möglich.

Gleichzeitig wird der einfachgesetzliche Rundfunkbegriff beibehalten und nur kosmetisch an die technische Realität angepaßt. Mathias Döpfner (VDZ) spricht auf der Pressekonferenz zur Verkündung des Telemedienkompromisses für den 22. Rundfunkänderungs-Staatsvertrag als Pressevertreter von der Bedeutung des Dualen Systems, obwohl dies nur auf den Rundfunk beschränkt ist und zieht in den Aufsichtsrat von Netflix ein. Die KEK kritisiert die fehlenden Regelungen zur Medienkonzentration im Sinne eines Gesamtmarktmodells zur Sicherung der Meinungsvielzahl auf einem Gesamtmeinungsmarkt. Die Nutzung non-linearer digitaler Angebot gewinnt immer mehr an Bedeutung und Meinungsmacht.

Dies alles korrespondiert miteinander.

Wenn man die Beibehaltung des Rundfunkbegriffs mit der Negativabgrenzung Telemedien in diesem Zusammenhang betrachtet, dann erkennt man eine konvergenzberücksichtigende  Marktordnungsfunktion, die für die Mediengattungen Rundfunk und Presse zu Lasten von Vielfaltssicherung, Chancengleichheit und Unabhängigkeit fließende Übergänge zugunsten einer nur marktregulierten Presse mit zahlreichen Ausnahmeregelungen u.a. in § 30 GWB schafft.

Das hat das Bundesverfassungsgericht nicht gemeint, als es für den Rundfunk eine Ausgestaltung durch den Gesetzgeber forderte, um die Vielfaltssicherung in einem wirkmächtigen Massenmedium zu gewährleisten. Die geringeren Qualitätsanforderungen an den privaten Rundfunk rechtfertigen sich durch die Ausgleichsfunktion des öffentlich-rechtlichen Rundfunks – das Duale System.

Für die Presse als Massenmedium sah das Bundesverfassungsgericht keine Ausgestaltungsnotwendigkeit durch den Gesetzgeber, solange ein polypoler Anbietermarkt eine Vielfalt an publizistischen Positionen und Meinungen garantiert.

In einem Medienstaatsvertrag ist eine konsequente Neudefinition von Rundfunk geboten, die zur Sicherung eines Level-Playing-Fields für alle digitalen Angebote die Unterscheidung von Rundfunk und Telemedien aufgibt. Dem würde auch die AVMD-Richtlinie (Audiovisuelle-Mediendienste-Richtlinie) aktuell oder in Zukunft nicht entgegenstehen, weil die Definitionen der Linearität nicht der Unterscheidung Rundfunk und Telemedien im RStV entsprechen: Rundfunk ist auch Hörfunk und wird von der AVMD-Richtlinie nicht erfaßt. Im Gegenzug ist ein linearer Mediendienste nach AVMD-RL auch Live-Streaming, Webcasting und Near-Video-on-demand, aber nicht zwingend Rundfunk.

Die AVMD-RL ist ein wirtschaftliches Regulierungsinstrument mit mittelbaren Auswirkungen auf die publizistische Vielfalt, der RStV sollte primär der vielfaltsichernden Ausgestaltung des Massenmediums Rundfunk dienen und nicht die Entwicklung von vorherrschender Meinungsmacht begünstigen.

Denn was würde dieser Medienstaatsvertrag für die Entwicklung der medialen Angebote bedeuten:

Die Verhinderung vorherrschender Meinungsmacht bliebe fernsehbasiert und damit als Instrument der Vielfaltssicherung wirkungslos, weil die digitale Konzentration vorherrschender Meinungsmacht keine Mediengattungen kennt.

Rundfunkähnliche Telemedien, die man auch non-linearen Rundfunk nennen könnte, würden keiner publizistischen Konzentrationskontrolle unterworfen und gleichzeitig einen wettbewerbsrechtlichen Freiraum durch § 30 GWB genießen.

Große Medienkonzerne wie Springer könnten mit dem Presseprivileg non-linearen Rundfunk in Form von rundfunkähnliche Telemedien anbieten, ohne den erhöhten Anforderungen an Rundfunk genügen zu müssen. Und weil zulassungsfreie Telemedien rundfunkähnlich sind, wird stillschweigend die Ausgleichsfunktion zur Sicherung der Meinungsvielfalt des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im Rahmen der hinkenden Dualität auf sie ausgedehnt. Damit wären die fast regelfreien Spielräume der Medien-(Presse-)Konzerne festgeschrieben, ohne Vielfaltssicherung, Chancengleichheit oder Unabhängigkeit zu gewährleisten.

Damit der öffentlich-rechtliche Rundfunk seine Ausgleichsfunktion im Dualen System nicht „übertreibt“, bliebe ihm das Verbot presseähnlicher Angebote ebenso erhalten, wie die Unterwerfung seiner Telemedienangebote unter die Marktkonformitätsprüfung.

Die Rundfunkfreiheit soll der freien individuellen und öffentlichen Meinungsbildung dienen. Ein Medienstaatsvertrag, der die Verhinderung von vorherrschender Meinungsmacht nicht in das Zentrum seiner Bemühungen stellt, ist weit von diesem Anspruch entfernt und wirkt nicht konstitutiv für demokratische Prozesse.

Dazu paßt auch die Hintertür für die wenigen vielfaltsichernden Elemente in den neuen Regeln für Plattformen und Intermediäre. Da heißt es in Bezug auf Zugang, Auffindbarkeit und Diskriminierungsfreiheit, daß zur Sicherung der Meinungsvielfalt eine unterschiedliche Behandlung „ohne sachlich gerechtfertigten Grund“ untersagt ist. Mit „sachlich gerechtfertigtem Grund“ aber darf ungleich behandelt werden?

Die Rundfunkkommission der Länder sollte nachhaltig handeln, wenn sie die weitere Zusammenballung von wirtschaftlicher und publizistischer Macht im digitalen Markt verhindern will. Der Rundfunkbegriff muß in der digitalen Wirklichkeit ankommen, seine Ausgestaltung muß die Meinungsbildungsfreiheit in der konvergenten Medienwelt schützen unter Hintanstellung wirtschaftlicher Interessen.

Alle Mediendienste sind grundsätzlich gleich zu behandeln und nach Qualitätskriterien abgestuften Regeln und abgestufter Regulierung zu unterwerfen. Öffentlich-rechtliche Angebote sind in ihrer Ausgleichsfunktion – die erweiterbar ist, wenn Beschränkungen wie Presseähnlichkeit entfallen – zu privilegieren, weil Marktmechanismen in Bezug auf Zugang, Auffindbarkeit und Diskriminierung nicht über den Grad der Informiertheit einer Gesellschaft bestimmen dürfen.

Bliebe es bei diesem Entwurf, dann wären die alleinigen Gewinner Medienkonzerne, die sich auf einem horizontalen und vertikalen digitalen Medienmarkt bewegen können, ohne gleichzeitig mit dem Gebot der Vielfaltssicherung belastet zu sein.