Systemische Probleme des öffentlich-rechtlichen Rundfunks I

Wenn Staatsferne zur Fiktion wird

Eine Analyse am Beispiel von Malu Dreyer


I. Die medienpolitische Karriere von Malu Dreyer – zwischen Rundfunkgesetzgeberin und Rundfunkaufsicht

Kaum eine Politikerin verkörpert die medienpolitische Doppelrolle zwischen Staat und Rundfunk so deutlich wie Malu Dreyer (SPD).

  • Seit 2013: Ministerpräsidentin des Landes Rheinland-Pfalz – damit Mitglied des Bundesrates und Repräsentantin eines der Länder, die gemeinsam das Rundfunkrecht durch Staatsverträge gestalten.

  • 2013–2023: Vorsitzende der Rundfunkkommission der Länder, also jenes Gremiums, das die Staatsverträge des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (ZDF-Staatsvertrag, ARD-Staatsvertrag, Medienstaatsvertrag) entwirft, verhandelt und fortschreibt.

  • Seit 2021: Vorsitzende des Verwaltungsrats des ZDF, eines der beiden zentralen Aufsichtsgremien, die über Haushaltsführung, Personalentscheidungen und Strukturfragen des Senders wachen.

Damit ist Dreyer über ein Jahrzehnt hinweg gleichzeitig Gesetzgeberin, Vollzugsaufsicht und Kontrollelement desjenigen Systems, das sie politisch mitgestaltet hat. Diese Kumulation von Rollen ist kein persönliches Fehlverhalten, sondern ein Symptom eines strukturellen Problems, das das deutsche System des öffentlich-rechtlichen Rundfunks seit Jahrzehnten prägt.


II. Der rechtliche Hintergrund – das BVerfG-Urteil zur Staatsferne des Rundfunks

Das Bundesverfassungsgericht hat bereits im ZDF-Urteil vom 25. März 2014 (1 BvF 1/11, 1 BvF 4/11) die Grundregel aufgestellt:

„Der Staat darf nicht über die Rundfunkanstalten herrschen, auch nicht mittelbar. Die Gremien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks müssen staatsfern zusammengesetzt sein; staatliche und staatsnahe Vertreter dürfen höchstens ein Drittel der Mitglieder stellen.“

Dieses Urteil zwang die Länder, den ZDF-Staatsvertrag zu ändern. Formal wurde die Drittelquote eingeführt. Doch materiell blieb vieles beim Alten: dieselben Staatskanzleien, dieselben Rundfunkreferenten, dieselben ehemaligen Regierungsmitglieder besetzen seither die Gremien.
Der Vorsitz des ZDF-Verwaltungsrats durch Malu Dreyer ist das prominenteste Beispiel dafür, dass strukturelle Staatsnähe fortbesteht, obwohl die Verfassung Staatsferne fordert.


III. Die unauflösbare Rollenkollision – wenn Politik sich selbst kontrolliert

Wer das Rundfunkrecht erlässt (über die Rundfunkkommission),
wer es überwacht (im Verwaltungsrat)
und wer zugleich politische Kommunikation im eigenen Land verantwortet,
vereint drei Machtfunktionen in einer Hand.

Diese institutionelle Selbstbezüglichkeit führt zu einer systemischen Interessenkollision:

  1. Normsetzung und Kontrolle verschwimmen. Die Rundfunkkommission verhandelt die rechtlichen Rahmenbedingungen, die unmittelbar die Handlungsfreiheit der Anstalten bestimmen – Budgetierung, Auftragsdefinition, Beitragsstruktur. Dieselben Akteure kontrollieren später die Umsetzung im Verwaltungsrat.

  2. Fehlende Distanz zur Exekutive. Wenn eine amtierende Ministerpräsidentin zugleich Aufsichtsvorsitzende einer Rundfunkanstalt ist, wird die Grenze zwischen Staatsaufsicht und Staatsferne faktisch aufgehoben. Das Bundesverfassungsgericht wollte gerade diese Durchdringung verhindern.

  3. Politische Prägung der Personalpolitik. Der Verwaltungsrat hat Mitentscheidungsrechte bei der Berufung von Intendant, Programmdirektor und Chefredakteur. Damit beeinflussen politisch besetzte Aufsichtsgremien indirekt, wer die publizistische Linie des Senders prägt.

Das Ergebnis ist eine Doppelstruktur der Kontrolle, in der sich Politik selbst beaufsichtigt – ein Widerspruch zum Grundgedanken des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG.


IV. Die Illusion der Drittelquote – formale Staatsferne, faktische Staatsnähe

Zwar erfüllt das ZDF formal die Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts, wonach der Anteil staatlicher und staatsnaher Mitglieder auf ein Drittel begrenzt ist. Doch die Machtkonzentration im Vorsitz des Verwaltungsrats kompensiert diese Begrenzung:

  • Die Vorsitzende leitet die Sitzungen, setzt Tagesordnungen fest, führt in Ausschüsse ein und repräsentiert das Gremium nach außen.

  • Ihre politische Erfahrung und ihr Regierungsamt verleihen ihr ein strukturelles Übergewicht gegenüber den staatsfernen Mitgliedern.

  • Damit entsteht eine faktische Mehrheit der Exekutive im Meinungsbildungsprozess, selbst wenn die formale Zählquote eingehalten wird.

Diese Situation verdeutlicht: Staatsferne ist nicht bloß eine Frage der Zahlen, sondern der tatsächlichen Machtverhältnisse.


V. Der systemische Befund

Das Beispiel Malu Dreyer steht pars pro toto für ein System, in dem:

  • die politische Exekutive die Rundfunkverträge entwirft,

  • die gleichen politischen Akteure über die Einhaltung dieser Verträge wachen,

  • und der Beitragszahler ein System finanziert, dessen Unabhängigkeit strukturell eingeschränkt bleibt.

Es handelt sich nicht um individuelle Fehlsteuerung, sondern um ein systemisches Versagen der Gewaltenteilung im Rundfunkbereich.
Die Folge: Das Vertrauen in die Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks schwindet – nicht wegen einzelner Sendungen, sondern wegen der institutionellen Architektur, die Staatsnähe perpetuiert.


VI. Konsequenz: Reformbedarf jenseits kosmetischer Änderungen

Wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk seiner demokratischen Funktion – Meinungsvielfalt, kritische Distanz, Kontrolle der Macht – gerecht werden soll, muss die Verzahnung zwischen Politik und Rundfunkgremien aufgelöst werden.
Eine echte Reform erfordert:

  1. Klare Trennung zwischen normsetzender und kontrollierender Funktion. Kein Regierungsmitglied oder ehemaliger Ministerpräsident darf ein Aufsichtsgremium leiten.

  2. Transparente Auswahl staatsferner Mitglieder. Bürgerliche, wissenschaftliche und kulturelle Vertreter müssen tatsächlich unabhängig sein.

  3. Stärkung der internen Kontrollmechanismen. Ombudsstellen, Ethikräte und öffentliche Sitzungen könnten das Vertrauen der Beitragszahler wiederherstellen.


VII. Fazit

Das Beispiel Malu Dreyer ist kein persönlicher Vorwurf, sondern eine juristisch-ökonomische Diagnose:
Die Rundfunklandschaft in Deutschland leidet an einer strukturellen Machtverflechtung, die dem Ideal der Staatsferne widerspricht.
Solange dieselben Akteure die Rundfunkordnung schaffen, beaufsichtigen und kommunikativ nutzen, bleibt der öffentlich-rechtliche Rundfunk kein unabhängiges Medienhaus, sondern ein öffentlich-rechtlich verwaltetes Kommunikationsinstrument – verfassungsrechtlich bedenklich und politisch riskant.


 

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