Bundesverwaltungsgericht entscheidet über Rundfunkbeitrag – BVerwG 6 C 5.24

Am 1. Oktober 2025 um 10:00 Uhr wird das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig über eine Klage verhandeln, die erstmals in dieser Konstellation den Zusammenhang zwischen der Pflicht zum Rundfunkbeitrag und dem gesetzlich vorgegebenen Funktionsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in den Fokus rückt.

Sachverhalt und Klagegegenstand

Die Klägerin wendet sich gegen ihre Beitragspflicht und rügt, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk seinen gesetzlichen Auftrag strukturell verfehlt. Ihr Vorwurf lautet im Kern:

  • Das Programmangebot sei nicht ausreichend vielfältig und ausgewogen,
  • die Aufsichtsgremien seien staatsfernkeitsrechtlich mangelhaft,
  • der Rundfunk agiere faktisch als Erfüllungsgehilfe dominanter staatlicher Meinungsmacht.

Aus diesem strukturellen Versagen folge, so die Klägerin, dass der gesetzlich vorausgesetzte individuelle Vorteil entfallen sei, der die Beitragspflicht rechtfertigt. Sie verlangt daher ein Leistungsverweigerungsrecht gegen die Beitragspflicht.

Diese Argumentation zielt auf eine Grundsatzfrage: Unter welchen Voraussetzungen darf ein Beitragspflichtiger die Zahlung verweigern, wenn er geltend macht, dass die Gegenleistung – hier: die Sicherstellung von Meinungs- und Programmvielfalt – nicht mehr erbracht werde?

Revisionszulassung und Bedeutung für die Rechtsprechung

Bereits mit Beschluss vom 23. Mai 2024 hat das BVerwG die Revision in dem früheren Beschwerdeverfahren 6 B 70.23, das nun unter 6 C 5.24 weitergeführt wird, zugelassen. Das Gericht erkannte ausdrücklich die grundsätzliche Bedeutung der Rechtsfrage an und sieht Bedarf für eine Klärung, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Versagen des Programms das Recht zur Verweigerung der Beitragspflicht begründen kann. (Bundesverwaltungsgericht)

Damit liegt ein Verfahren vor, das über den Einzelfall hinaus medienrechtliche und verfassungsrechtliche Implikationen hat: Es betrifft die Legitimation der Rundfunkfinanzierung und die Schwelle, ab der Bürger einen Anspruch haben könnten, Zahlungen zu verweigern.

Rechtsprobleme und Streitlinien

Im Vorfeld der Verhandlung lassen sich verschiedene rechtliche Problemen und mögliche Strategien skizzieren:

  1. Individueller Vorteil und Konnextheorie
    Die klassische Rechtfertigung der Beitragspflicht setzt voraus, dass der Beitragspflichtige einen individuellen Vorteil aus dem System zieht (z. B. die Möglichkeit des Empfangs eines öffentlich-rechtlichen Programms, das Informations-, Kultur- und Meinungsvielfalt bietet). Die Klägerin behauptet, dass dieser Vorteil strukturell entfallen sei, weil der öffentlich-rechtliche Rundfunk seinen zentralen Auftrag nicht mehr erfüllt. Die Frage lautet: Kann ein Beitragspflichtiger in dieser Konstellation wirksam geltend machen, dass kein objektivierbarer Leistungsvorteil mehr besteht?
  2. Mess- und Nachweisprobleme
    Selbst wenn man anerkennt, dass strukturelles Versagen denkbar ist, wird es schwierig sein, zu beweisen oder zu quantifizieren, dass genau in jenem Umfang Vielfalt und Ausgewogenheit nicht mehr gegeben sind — und dass dies systemisch und nicht sporadisch ist. Wie lässt sich Programmvielfalt objektiv messen, und welche Schwellen genügen?
  3. Subjektive vs. institutionelle Kontrolle
    Die Klägerin greift zudem die Aufsichtsgremien an und behauptet mangelnde Staatsferne. Damit wirft sie die Frage auf, wie sehr programmgestaltende Institutionen kontrollierbar sind und ob strukturelle Defizite in der Organisation den Beitragspflichtigen insgesamt zumutbar sein dürfen.
  4. Grenzen des Leistungsgegensatzes
    Der Beitrag ist – jedenfalls nach herrschender Meinung – gerade nicht typischerweise an die individuelle Nutzung geknüpft, sondern soll die Möglichkeit der Nutzung sicherstellen. Zahlreiche Gerichte haben bisher abgelehnt, dass Beitragspflichtige wegen einzelner Programmkritik Rechtsansprüche geltend machen könnten. Problematisch ist die Abgrenzung: ab wann ist Programm-Kritik (z. B. politische Ausrichtung) eine zulässige Meinungsäußerung, und ab wann wird sie zu einem Recht auf Verweigerung?
  5. Verhältnis zu bereits existierender Rechtsprechung
    Die Klägerin stützt sich auf neuere Tendenzen, insbesondere auf einen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts aus 2023 (1 BvR 601/23), der angedeutet hat, dass offen sein könne, ob ein Beitragspflichtiger geltend machen könne, dass der Beitrag keine angemessene Gegenleistung mehr finde. (Bundesverwaltungsgericht) Allerdings hat die bisherige Verwaltungsgerichtspraxis solche Versuche regelmäßig zurückgewiesen mit dem Argument, dass kein einklagbares Recht auf bestimmte Inhalte bestehe und der Beitrag gerade für die Möglichkeit des Empfangs erhoben werde. (Netzwelt)

Die Kanzlei Graf Kerssenbrock & Kollegen führt derzeit ein Verwaltungsverfahren vor dem Verwaltungsgericht Schleswig, in dem ein Beitragszahler gegen die Heranziehung zum Rundfunkbeitrag klagt. Die Klage greift unmittelbar Fragen auf, die auch im Verfahren BVerwG 6 C 5.24 verhandelt werden: den Zusammenhang zwischen der Beitragspflicht und der tatsächlichen Erfüllung des Funktionsauftrags durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk.

1. Klagebegründung (20.08.2025)

Die Klage greift die Festsetzung des Rundfunkbeitrags an und stützt sich auf folgende Hauptargumente:

  • Funktionsauftrag und Zweckbindung: Der Rundfunkbeitrag ist nur gerechtfertigt, wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk den verfassungsrechtlich gebotenen Funktionsauftrag erfüllt (Vielfalt, Staatsferne, Verhinderung von Meinungsmacht).

  • Strukturelles Versagen: Die Praxis des ÖRR verletze diesen Auftrag, u.a. durch Dominanz unterhaltungsgetriebener Formate, Haltung und Agenda-Setting in Nachrichtensendungen, Abhängigkeit von Drittplattformen (TikTok, Instagram), Einstellung der funk-App und die Kommerzialisierung auf Bezahlplattformen.

  • Mangelnde Staatsferne: Am Beispiel des ZDF wird die Rolle von Malu Dreyer als Verwaltungsratsvorsitzende und gleichzeitige Regierungschefin herausgestellt. Ebenso wird auf die Nähe der KEF zur Staatskanzlei Rheinland-Pfalz hingewiesen. Dies widerspricht den Maßstäben des BVerfG (ZDF-Urteil).

  • Blockade der Beitragserhöhung: Die Länder hätten 2025 die von der KEF festgestellte Erhöhung verweigert. Das sei ein Verstoß gegen die Bestands- und Entwicklungsgarantie.

  • Programmautonomie und MStV: Der Medienstaatsvertrag beschränke die Entwicklungsoffenheit des Rundfunks (Drei-Stufen-Test, Spartenangebote, Verbot presseähnlicher Telemedien). Dadurch werde die verfassungsrechtlich garantierte Entwicklungsgarantie ausgehöhlt.

  • Europarechtlicher Druck: Durch die Unterwerfung unter das EU-Beihilfenrecht werde die Rundfunkfreiheit zu einem marktregulierten Gut degradiert. Der Drei-Stufen-Test sei eine direkte Folge dieser Praxis.

Fazit der Klagebegründung:
Die Beitragspflicht des Klägers entfällt, da die Zweckbindung des Rundfunkbeitrags nicht mehr gewahrt sei. Der Rundfunk erfülle seinen Funktionsauftrag nicht und sei in staatsferner wie inhaltlicher Hinsicht defizitär.


2. Erwiderung auf den Schriftsatz des NDR (24.09.2025)

Die Erwiderung vertieft die Argumentation der Klagebegründung und setzt sich mit der standardisierten Verteidigung des NDR auseinander:

  • Fehlende Auseinandersetzung durch den Beklagten: Der NDR habe nur Textbausteine verwendet, ohne konkret auf die substantiierten Einwände des Klägers einzugehen.

  • Strukturelles Versagen – Belege durch Einzelfälle:

    • Fall Julia Ruhs (NDR): Absetzung ohne inhaltliche Begründung, selektive Behandlung im Vergleich zu Anja Reschke, Nachbesetzung durch Tanit Koch → opportunistische Personalpolitik, nicht Vielfaltssicherung.

    • Fall Elmar Theveßen (ZDF): Falschbehauptung über Charlie Kirk ohne Korrektur → mangelnde Fehlerkultur, Verlust an Glaubwürdigkeit.

    • Gemeinsames Muster: Opportunismus und fehlende Korrekturmechanismen belegen strukturelles Funktionsversagen.

  • Verfassungsrechtlicher Rahmen: Beitragspflicht nur bei Erfüllung des Funktionsauftrags; Verweis auf BVerfG-Rechtsprechung (3. und 4. Rundfunkentscheidung; Beschluss v. 20.07.2021 – 1 BvR 2756/20).

  • Kritik an Argumentation des NDR: Die Behauptung, nur Gremien könnten Programm und Mittelverwendung kontrollieren, verletze Art. 19 Abs. 4 GG. Beitragszahler würden zu rechtlosen Zahlern degradiert.

  • Kernthese: Nicht einzelne Programmkritik, sondern systemische Defizite – Staatsnähe, mangelnde Vielfalt, fehlende Unabhängigkeit – unterminieren die Legitimation des Rundfunkbeitrags.

Fazit der Erwiderung:
Das Verhalten von NDR und ZDF zeige, dass Ausgewogenheit, Unabhängigkeit und Funktionsauftrag nicht strukturell gewährleistet seien. Damit entfalle die verfassungsrechtliche Rechtfertigung für die Beitragspflicht.


Zusammenfassung

Die Schriftsätze von Graf Kerssenbrock & Kollegen verfolgen eine zweifache Strategie:

  1. Struktureller Angriff auf die Legitimation des Rundfunkbeitrags – wegen Verstoßes gegen Vielfalt, Staatsferne und Zweckbindung.

  2. Einzelfallbasierte Konkretisierung – anhand prominenter Beispiele (Ruhs, Reschke, Koch, Theveßen) wird das strukturelle Versagen belegt.

Damit wird die Klage nicht nur als Anfechtung im Einzelfall geführt, sondern als grundsätzliche verfassungsrechtliche Auseinandersetzung über den Konnex zwischen Beitragspflicht und Funktionsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunk