Hat der NDR aus dem Fall Julia Ruhs gelernt?

Nein – wenn man die Sendung Caren Miosga vom 28.9.2025 mit dem Interview des deutschen Außenministers betrachtet. Eine Sendung, die der NDR redaktionell veranwortet.


I. Ausgangspunkt: Ein Interview mit Vorzeichen

Das Gespräch zwischen Caren Miosga und Außenminister Johann Wadephul in der ARD-Sendung „Caren Miosga“ am 28. August 2025 stand nicht unter dem Zeichen journalistischer Ergebnisoffenheit. Es war von Anfang an erkennbar, dass die Interviewführung nicht auf Aufklärung, sondern auf Bestätigung eines moralischen Deutungsrahmens ausgerichtet war:

  • Miosga verlangte von Wadephul eine klare Verurteilung von Donald Trump als „Gefahr für die Demokratie“ – eine Bewertung, die weder diplomatisch erforderlich noch verfassungsrechtlich geboten war.

  • Die Weigerung Wadephuls, sich diesen Formulierungen anzuschließen, wurde durch Mimik, Tonfall und insistierende Nachfragen deutlich negativ bewertet.

Dies ist kein isolierter Vorfall, sondern reiht sich ein in eine Serie von Vorkommnissen, in denen sich öffentlich-rechtliche Moderatoren (wie jüngst Miosga, zuvor  Theveßen) nicht als vermittelnde Instanzen, sondern als aktivistisch-politische Akteure verstehen.


II. Juristische Bewertung: Grundsätze der Rundfunkfreiheit

Gemäß ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 57, 295; 73, 118; 83, 238; 90, 60; 119, 181) ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk einer Bestands- und Entwicklungsgarantie unterstellt, jedoch nur unter der Voraussetzung, dass er:

  • staatsfern,

  • meinungsvielfältig,

  • ausgewogen,

  • unabhängig und

  • plural offen

arbeitet. Nicht geschützt ist ein Rundfunk, der sich in institutioneller Einseitigkeit verliert oder die politische Willensbildung aktiv beeinflussen will, statt sie zu ermöglichen. Die Pflicht zur Ausgewogenheit umfasst nicht nur Programmvielfalt, sondern auch die Einhaltung von Fairness und Distanz in der Interviewführung.

Caren Miosga hat in ihrer Sendung diese Grenzen mindestens überschritten, wenn nicht strukturell verletzt:

  • Vorprägung der Fragestellung: Die suggestive Erwartung, Trump als demokratiefeindlich zu bezeichnen, lässt keine Antwortoption offen, ohne ins Unrecht gesetzt zu werden.

  • Verstoß gegen das Sachlichkeitsgebot: Wenn die Moderatorin enttäuscht reagiert, weil ein Minister eine abweichende Position vertritt, verwandelt sich das Interview in eine Meinungsvorlage.

  • Beeinträchtigung der politischen Chancengleichheit: Der Eindruck entsteht, dass nur bestimmte Meinungen, Haltungen oder Bewertungen als „legitim“ gelten – ein massives Problem für die innere Freiheit der Zuschauermeinungsbildung.


III. Wiederholung systemischer Fehlentwicklungen – Julia Ruhs und Elmar Theveßen

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk scheint aus zwei der jüngsten Skandale nichts gelernt zu haben:

1. Der Fall Julia Ruhs

  • Julia Ruhs wurde ohne sachlich nachvollziehbare Begründung von ihrer Moderationstätigkeit abgezogen, obwohl ihre journalistische Arbeit hohe Akzeptanz fand.

  • Öffentlich wurde kein inhaltlicher oder programmatischer Verstoß vorgebracht – allein interne politische Irritationen reichten offenbar aus.

  • Die strukturelle Lehre daraus wäre gewesen: Meinungsvielfalt muss auch innerhalb des ÖRR gelten, sonst verliert er seine Legitimation.

2. Der Fall Elmar Theveßen

  • Theveßen verbreitete in einem ZDF-Format nachweislich unzutreffende Tatsachenbehauptungen über Charlie Kirk („will Homosexuelle steinigen lassen“) – ohne Korrektur, ohne personelle Konsequenz, ohne journalistische Selbstkontrolle.

  • Auch hier wurde keine Lehre gezogen – stattdessen Relativierung des Fehlers und ein mediales Weiter-so.

Beide Fälle zeigen: Der ÖRR scheint nicht in der Lage zu sein, sich selbst zu kontrollieren oder seine redaktionellen Fehler zu sanktionieren – weder auf der Ebene der Intendanz noch durch Rundfunkräte.


IV. Strukturelle Fehlkonstruktionen: Der ÖRR als Akteur statt Bühne

  1. Verlust der inneren Pluralität

    • Die programmverantwortlichen Redaktionen und Moderationen weisen zunehmend weltanschaulich homogene Milieustrukturen auf (vgl. u. a. die Umfragen zur parteipolitischen Präferenz öffentlich-rechtlicher Journalisten).

    • Kritische Stimmen oder alternative Sichtweisen werden nicht integriert, sondern ausgegrenzt (siehe Ruhs, siehe auch Einladungspolitik in Formaten wie Miosga oder hart aber fair).

  2. Fehlende funktionale Kontrolle durch Rundfunkräte

    • Die Kontrollgremien handeln nicht, eine Staatsvertragsverletzung oder gar
      § 49 MStV zur Veröffentlichung von Beanstandungen als Gremieninstrumente werden nicht genutz.

    • In keinem der oben genannten Fälle gab es eine öffentlich nachvollziehbare Gremienintervention – trotz massiver öffentlicher Kritik.

  3. Strukturelle Rollenkonfusion: Moderatorin als Aktivistin

    • Caren Miosga agierte nicht als „neutral fragende Journalistin“, sondern als moralisch-politische Autorität, die Gesprächspartner auf normativ erwünschte Antworten hinsteuert.

    • Der ÖRR verfehlt damit seine Aufgabe, Plattform für demokratische Debatte zu sein. Er wird stattdessen zu einem Meinungsverstärker bestimmter Milieus.


V. Schlussfolgerung 

Der Fall Miosga zeigt leider erneut:

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk leidet nicht an Einzelfehlern, sondern an strukturellen Defiziten in seiner journalistischen Kultur, inneren Kontrolle und pluralistischen Offenheit.